Das Zunfthaus Zum Grünen Glas

Das Zunftleben spielte sich seit 1896 in den verschiedensten Wirtschaften der ehemaligen Gemeinde Riesbach ab. Immer wieder musste eine neue Bleibe gesucht werden. Bereits im Jahre 1902 wurde ein Baufonds für ein eigenes Zunfthaus errichtet. Der Initiative und Risikofreudigkeit von sechzehn Zünftern war es zu verdanken, dass schliesslich im Jahre 1977 ein langgehegter Wunsch in Erfüllung ging: Die Liegenschaften an den Unteren und Oberen Zäunen mit der Wirtschaft «Zum Grünen Glas» konnten erworben und der Zunft als Zunfthaus und ständiges Heim zur Verfügung gestellt werden. Die Liegenschaften gehören der Genossenschaft Zunfthaus Riesbach, an welcher jeder Zünfter beteiligt ist. So konnte die Zunft nach langer Odyssee am 26. März 1984 kurz vor dem Sechseläuten in ihr eigenes Zunfthaus einziehen und dort am 3. April 1987 ihr hundertjähriges Bestehen feiern.

Das Restaurant und Zunfthaus «Zum Grünen Glas» ist in den Liegenschaften Untere Zäune 15 und Obere Zäune 16 in der Altstadt von Zürich beheimatet. Die beiden Liegenschaften sind erstmals 1310 urkundlich erfasst und hiessen damals «Schwarze Leiter» und «Blauer Stern». Erst 1684 wird der Name «Grünes Glas» erwähnt. Durch Schenkungen kamen die meisten Häuser in Besitz von Klöstern, namentlich des Barfüsserklosters. Das Zürcher Obergericht befindet sich auf dem Areal des ehemaligen Klosters. Die Häuser an der Unteren Zäune wurden damals auf Lebzeiten an ältere Leute verkauft, die hier ihren Lebensabend verbringen wollten. Nach deren Tod fielen die Häuser wieder an den Verkäufer zurück. Ein besonderer Besitzer war ab 1842 für kurze Zeit Dr. Friedrich Ludwig (von) Keller, ein bekannter Jurist und Professor für römisches Recht. Keller gilt als eigentlicher Begründer der neueren schweizerischen Rechtswissenschaft. Als Führer der Liberalen hat er massgeblich Einfluss auf die Politik der 1830er Jahre genommen. Nach dem «Züriputsch» von 1839 sah er sich gezwungen, Zürich für eine Weile zu verlassen.

Ab 1845 ist eine Wirtschaft «Zum Grünen Glas» in der Liegenschaft Untere Zäune 15 nachweisbar. Der erste Wirt hiess Johann Gottfried Ludwig und war in Deutschland als Revoluzzer bekannt. Er liess hinter dem Haus an der Oberen Zäune einen Fechtsaal bauen und unterrichtete die Studenten der nahen Universität in dieser Kunst. Einer der Studenten, ein gewisser Wilhelm C. Röntgen, soll aber in erster Linie an einer der Töchter Ludwigs, nämlich an Anna Bertha, interessiert gewesen sein. Diese hatte - so sagt es die Legende - sogar dem bekannten Morgenmuffel Gottfried Keller jeweils ein Lächeln entlocken können. Röntgen und Anna Bertha heirateten 1872 in Utrecht, Holland. Röntgen sollte am Ende des 19. Jahrhunderts mit der Erforschung der nach ihm benannten Strahlen Weltruhm erlangen und 1901 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet werden.

Die Wirtschaft zum Grünen Glas war bis zum Brand des Aktientheaters in der Neujahrsnacht 1890 Treffpunkt der Künstler und Freunde der ersten stehenden Zürcher Bühne. Das Theater war 1834 in der ehemaligen Barfüsserkirche (heute Parkplatz), also unmittelbar gegenüber dem Grünen Glas, eröffnet worden. Dass die Wirtschaft als einzige in der näheren Umgebung seit ihrem Bestehen eine gesellschaftliche Funktion für die Theaterfreunde besass, liegt auf der Hand. So dürften auch Richard Wagner und seine Anhänger zeitweilig im Grünen Glas ein- und ausgegangen sein. Unter Wagners Stabführung wurden in der Theatersaison 1850/51 unter anderem Der Freischütz, Die weisse Dame, Don Juan, Die Zauberflöte und Fidelio aufgeführt.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war das Restaurant «Zum Grünen Glas» ein beliebter Treffpunkt für Schauspieler, Gelehrte, Richter, Dichter, Künstler und Intellektuelle aller Art. Die Lage in unmittelbarer Nähe von Universität, Konservatorium, Zürcher Obergericht, Kunst- und Schauspielhaus, verschiedenen kleinen Theatern und Bühnen, Gymnasien und Kantonsschulen war - und ist - sicher ein Grund für dessen Beliebtheit.

1954 wurde die ganze Häuserzeile an der Unteren Zäune abgebrochen. 1955 bis 1957 entstanden die heutigen Bauten. 1977 kaufte die Zunft Riesbach beide Liegenschaften, die heute zum «Grünen Glas» gehören. 1983 wurde die Liegenschaft Obere Zäune 16 mit dem Zunftsaal, der Zunftmeisterstube, dem schönen Altstadtgarten sowie dem ganzen Untergeschoss mit Küche, Kühl- und Lagerräumen renoviert und erweitert. 1992 wurde das Restaurant in eine französische Brasserie umgestaltet und im 21. Jahrhundert wurden die Wohnungen saniert und eine neue Restaurantküche eingebaut. Seither hat sich der «Grüen Schèèrbe», wie er früher im Volksmund hiess, wieder zu einer vitalen Gaststätte und einem echten Quartiertreff entwickelt.